Sehnsucht

Paulas Tagebuch

Noch 10 und der Rest von heute

Sehnsucht nach einem Festl zu haben zeugt an sich ja schon davon, dass man mittelprächtig einen an der Kanne hat. Man hat Sehnsucht nach Urlaub, nach seinem Freund, nach seinen Kindern oder nach Freiheit, Fahrwind und dem Blick ins Tal. Aber Sehnsucht nach einem Volksfest ist eigentlich nicht vorgesehen. Ich kann Euch aber sagen: ich habe Sehnsucht. Zeitlang. Krasse Vermissung!

Münchner Seele

Unzählige Menschen behaupten, die Wiesn hat nix mehr mit München zu tun. Ist kein Volksfest. Das Oktoberfest ist eine Gelddruckmaschine und nur noch Commerz. Die sagen auch, des ist nicht schön, wenn die Stadt so voll ist und wenn überall nur grölende und betrunkene Menschen rumlaufen. Ich sage: die haben einfach keine Ahnung. Die haben die Wiesn leider noch nie so erlebt wie wir (also wir, die so völlig durchgeknallt sind) und die haben noch nie die Münchner Seele auf der Wiesn gespürt. Des geht schon damit los, dass die Trambahnen in München während der Wiesn ausgeflaggt sind. Die werden, jede einzelne Trambahn, vorne links und rechts mit der Fahne der Stadt geschmückt. Weil die Stadt in Feierlaune ist. Auch wenn die MVG immer noch Wiesn falsch schreibt und auf der Zielanzeige der Trambahnen  „Wies´n Tram“ steht, gehört es einfach dazu. Und es geht weiter mit den vielen zusätzlichen Schildern die von überall den Weg zur „Festwiese“ weisen. Eiskalt und ohne mit der Wimper zu zucken steht da auch wirklich nur „Festwiese“ nicht Theresienwiese, nicht Oktoberfest, nicht Wiesn, sondern ausschließlich „Festwiese“. Warum kann niemand erklären. Das ist einfach Münchner Seele.

Wetterphänomen

Es kann regnen, stürmen, schneien oder hageln. Wenn du heute jemanden fragst, wie der erste Wiesnsamstag war (egal vor wie viel Jahren) wird dir als Antwort: „a Traum“ gegeben. Da hat bei jedem die Sonne geschienen – wenn nicht vom Himmel dann im Herzen. Völlig egal wie das Wetter war. Ich habe zur Wiesn schon so ziemlich jedes Wetter erlebt. Von Sonnenbrand bis Erfrierungserscheinungen habe ich schon alles mit heimgebracht. Bis auf die Unterhose nass war ich eh immer, entweder vom schwitzen oder vom Regen. Die Wiesn-Knirpse unserer Gäste haben uns alle schon gegen Regen, Sonne, Hagel und sogar Schnee geschützt. Aber es ist völlig egal. Für die Wiesn gibt’s kein falsches Wetter. Was ein echter Wiesngänger ist, dem ist es einfach egal, was für ein Wetter ist. Weil am Ende is immer schee. Auch wenn du die erste Maß eigentlich gerne gegen heißen Glühwein austauschen möchtest. Auch wenn du die Moonboots gerne herbeiwünscht. Erst recht, wenn’s dir im Biergarten das Dekolleté so dermaßen aufbrennt, dass du bis Weihnachten einen Abdruck hast.

Wir sehen uns nächstes Jahr

Ein anderes Phänomen, welches ich sonst maximal aus dem Urlaub kenne ist das „ einmal im Jahr“-Phänomen. Es gibt tatsächlich Menschen, die wohnen wie ich irgendwo in oder um München und die sehe ich das ganze Jahr nicht, nur zur Wiesn. Übrigens auch dann nicht, wenn wir nicht wegen Corona eingesperrt sind. Ganz zu schweigen von denen, die eh nur zur Wiesn von weither nach München kommen. Zur Wiesn triffst du alle. Meistens auch jedes Jahr an den gleichen Tagen. Also am ersten oder am 9. Wiesntag zum Beispiel. Das ist so schön. Es ist wie eine jahrelange Freundschaft, bei der man sich gegenseitig nicht auf den Nerv gehen kann. Dafür sieht man sich nämlich viel zu selten. Manchmal auch ganz praktisch. Und obwohl man sich ein ganzes Jahr nicht gesehen hat, ist es gleich wieder so, als hätte man sich letzte Woche des letzte Mal gesehen. Und beim Abschied schwingt jedes Mal ein wenig Wehmut mit, schließlich sieht man sich erst in einem Jahr wieder.

Lieblingsplatz

Jeder von uns Wiesnmenschen hat so einen Lieblingsplatz auf der Wiesn. Diesen einen Platz, an dem die Wiesn ganz besonders schön ist. An dem man das Pulsieren spürt. An dem man spürt, dass man spätestens im Mai anfängt, sich auf die nächste Wiesn zu freuen. Dieser eine, ganz besondere Platz, an dem man die schönsten Erinnerungen revuepassieren lassen kann. Dieser Ort, den es nur 16 Tage im Jahr gibt. Weil er danach einfach nicht mehr da ist. Manchmal ist es sogar ein Ort, an dem man nur für einige Sekunden verweilen kann. Zum Beispiel im Riesenrad ganz oben, mit dem Blick über die Wiesn. Ganz alleine in einer Gondel. Nicht knutschend. Nicht händchenhaltend. Nicht gemeinsam. Sondern ganz alleine. Nur man selbst – auf Augenhöhe mit der Bavaria. Natürlich habe ich auch so einen Ort, den verrate ich aber nicht – schließlich soll das mein Ort bleiben. Und wenn mir meine Gäste grade zu viel werden, mein bester Freund mal wieder mit mir streitet oder mein Kollege grade nicht so will wie ich, dann geh ich dahin. Dann nehm ich mir einfach meinen Moment und genieße den Puls der Wiesn und erinnere mich wieder daran, wie schön es eigentlich ist. Ich weiß, es wird euch überraschen, aber an meinem Wiesn-Lieblingsort gibt’s weder Schnaps noch Bier und nicht mal Kaffee!

Momentensammler

Es gibt Momente auf der Wiesn, die kannst du dir nicht ausdenken. Die finden genauso einfach nur auf der Wiesn statt. Die brauchen, um zu entstehen, genau das was nur auf der Wiesn zu finden ist: Lichtermengen, Trubel, Herzlichkeit, Gemütlichkeit, Bierlaune und verrückte Menschen. Die brauchen diese totale Erschöpfung an Tag 5, das zweite Leben an Tag 11 oder die absolute „keinen Bock mehr“ Phase an Tag 14. Die brauchen den Geruch von frisch gebrannten Mandeln und den bayerischen Defiliermarsch in den Ohren. Die brauchen Wiesnliebe und Dirndlgwand. So ein Moment, in dem du noch vor der ersten Maß einem völlig fremden Kölner in Lederhosn erklärst, wie man eine Weißwurscht zuzelt und der dann, 5 Jahre später, ein echter Freund ist. Oder damals, als ich noch nicht gearbeitet habe auf der Wiesn – als ich mit 16 auf der Bank gestanden bin, in der Bräurosl, in der ersten Reihe vor der Musik, fleißig mitgesungen habe und zum Reservierungswechsel mit dem Sänger einen Ramazotti aus der 0,5l Cola Flasche getrunken habe. Einen Schluck, keinen Vollrausch. Aber der Moment bleibt ewig. Ich hätte noch unzählige Momente, die gesammelt habe, von denen ich Euch erzählen könnte, aber vermutlich braucht es dafür einen eigenen Eintrag… vielleicht mach ich des die Tage noch – schon, weil ich jetzt grade beim Schreiben selber so viel Spaß an all diesen wunderbaren Momenten habe.

Sehnsucht

All diese oben beschriebenen Punkte machen für mich die Sehnsucht nach der Wiesn aus. Und ja, ich hab ganz bestimmt einen an der Kanne, nicht alles Tassen im Schrank, bin völlig durchgeknallt und nicht ganz sauber – aber ohne so verrückte Menschen wie mich, gäbe es keine Wiesn und auch sonst ganz viele wunderbare Festl, Veranstaltungen und Feiern nicht. 16 Tage lang deinem Körper alles abverlangen, kaum schlafen, schleppen und rennen, diskutieren und lachen, fröhlich und grantig sein – deine Kinder nicht sehen, in einer anderen Welt leben. Dafür musst du ganz gewaltig einen an der Klatsche haben. Das hab nicht nur ich, sondern auf irgendeine Art all die Menschen die auf der Wiesn arbeiten. Und ehrlich gesagt auch all die Menschen die jedes Jahr auf die Wiesn gehen. Ob für einen Tag oder 16 Tage lang jeden Tag. Wir alle zusammen sind nicht ganz sauber! Aber wir sind auch alle stolz drauf und…

Wir haben alle Sehnsucht nach der Wiesn!

Häschtäg: des gibt’s halt nur bei uns – bisschen durchgeknallt ist ganz nah an wundervoll – noch 10 und der Rest von heute

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1 Kommentar

  1. Anita
    10. September 2021 / 11:49

    Wie unglaublich treffend!

    Beim Lesen kullerten mir die Tränen über die Wangen und zeitgleich kam ein Lächeln auf meine Lippen.

    Die Beschreibungen treffen zu 150% zu und ich selbst hätte es nicht besser formulieren können!

    I hab‘ a Zeitlang, liebe Wiesn-Kollegin! ♥️

    Kommendes Jahr pack‘ ma‘s hoffentlich wieder an, wenn‘s heißt: „O’zapft is!“ 🍻

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