Heikle Themen

noch 35 und Rest von Heute

VOLKFEST-TAGEBUCH DACHAU 2024 – DER COUNTDOWN ZUR WIESN.

HEUTE: man muss auch mal drüber reden

Feiertag im Bierzelt. Bei gefühlten 40 Grad im Schatten und dem Ausblick auf ein langes Wochenende nicht unbedingt die besten Voraussetzungen für einen Bierzeltbesuch. Oder anders: wer heute ins Bierzelt geht, feiert Weihnachten auch am Strand unter Palmen. Nach gestern Abend kann ich ganz gut damit leben, dass die Hütte heute nicht bumsvoll ist und aller Voraussicht nach auch nicht abgerissen wird. Gestern war es von 0 auf 100 echt viel und gemeinsam mit der Hitze einfach echt anstrengend. Da darf es heute ein bisschen ruhiger sein.

Gesprächsstoff

Wenn nicht so viel los, hat man Zeit, ein bisschen mit seinen Gästen zu quatschen. Das ist auch schön. Schon allein deshalb, weil man immer mal wieder ganz andere Ansichten hört. Ein großes Thema ist dieses Jahr das Bier. Obwohl es schon seit dem zweiten Corona Jahr Augustiner auf der Dachauer Thomawiese gibt, ist es dieses Jahr irgendwie ein besonders Thema. Vielleicht weil die Dachauer geglaubt haben, dass mit dem Kärtner auch das Münchner Bier verschwindet. Aber eigentlich is ja totaler Schmarrn. Weil das hochgelobte „Dachauer Festbier“ ist ja schon seit Jahren ein Münchner Bier. Stimmt nicht? Doch klar! „Münchner Bier“ ist eine eingetragene Marke und besagt, dass dieses Bier mit Wasser aus dem eigenen (im Stadtbereich liegenden) Tiefbrunnen nach dem Münchner Reinheitsgebot von 1487 gebraut wird. Spaten und Augustiner sind beides Münchner Brauereien mit eigenen Tiefbrunnen. Einzig die Rezeptur unterscheidet sich. Allerdings nur in Menge aus Wasser, Malz, Hopfen und Hefe. Was anderes darf in ein Münchner Bier nicht rein. Hin oder her – mit verbunden Augen würden keine 10 Prozent (mich eingeschlossen) die Biermarke erkennen. Aber über was reden wir denn sonst, wenn nix los ist.

Ausg´schamt..

Am Nachbartisch sitzt eine Familie mit 4 Kindern, Großeltern und Eltern. Die Kids sind alle mit großen Luftballons dekoriert, die Oma hat ein riesen Lebkuchenherz umhängen und die Mama einen Strauß Plastikrosen vom Schießstand. Ich begrüße die neuen Gäste und frage, was ich bringen darf. Die 4 Kinder teilen sich zwei Wasser, die Großeltern eine Radler und die Eltern eine Maß. Es wird Essen bestellt: dreimal Knödel mit Soß, zwei halbe Hendl und eine große Breze. Ich notiere alles und bringe es postwendend. Die Rechnung macht 67,70 Euro. Ziemlich viel für so ein bisschen was. Ich habe die Ködel mit Soß mit Löffel serviert und zu den beiden Hendl Portionen jeweils 1 Besteckset gelegt. Der Familienvater gibt mir 68 Euro und sagt großzügig: „passt scho!“ um dann hinterher zu schießen: „Wir brauchen noch 6-mal Besteck!“ wo sollen die Kinder denn „Bitte“ und „Danke“ lernen, wenn es ihnen niemand vormacht?! Ich antworte: „Bringe ich Euch gerne, macht dann aber nochmals 3 Euro.“ „Ja du ausgschamts Luder, schaug da sie o. Ja du bist ja des allerletzte! Du kriegst deinen Hals ja gar nicht voll!“ be-spuckt-schimpft mich die Oma mit ca. 80gr trockener Breze im Mund. Ich wisch mir des Dekolleté von den Brezenkrümel sauber und lächle: „möchtet ihr noch Besteck oder nicht?“ „Freili, aba i zoi doch ned für Besteck extra no moi!“

Besteckgeld

Ob ich den Ansatz meiner Gäste verstehe? Jein! Fakt ist: jede Bedienung, egal in welchem Bierzelt, zahlt jeden Tag Besteckgeld. Und das nicht zu knapp! In Dachau sind wir dieses Jahr bei 12 Euro pro Tag, pro Bedienung/Kellner! Ich habe bis heute, trotz intensiver Nachfrage, noch nie eine Rechnung vom Wirt über gewickeltes Besteck gesehen. Von keinem Wirt. Ich habe mir aber selbst mal die Mühe gemacht und ein Angebot bei der (einzigen Firma) eingeholt. Da hieß es, dass pro Besteckset, gewickelt in Servierte mit meinem Logo (in diesen Mengen) ca. 8 Cent anfallen. Umgerechnet heißt das, mein Kollege und ich, müssen pro Tag 300 Essen verkaufen, damit wir unsere (gemeinsamen) 24 Euro Besteckgeld aufbrauchen. Bei durchschnittlich 11 Tischen pro Tag, müssten wir an jedem Tisch 27 Essen über den Tag verkaufen. Also mehr als 2,5 Belegungen. Machbar – aber keineswegs der Normalfall! Aktuell sind wir zwei (der Alois und ich) bei durchschnittlich 70 Essen am Tag. Am 6. Tag des Festes. Woran des liegt? Es ist halt wenig los. Es wird nicht wahnsinnig viel gegessen. Woher ich des weiß, wie viel ich Essen raustrage? Ich habe eine Abrechnung (übrigens inklusive meiner Hendlmarken). Selbst wenn ich 100 Essen rausbringen würde, ist mein Besteck einfach immer noch viel zu teuer. Warum wir das bezahlen müssen?

Tradition

Früher war des so: da sind die Bedienungen ins Zelt gekommen, haben ihre Tische sauber gemacht, alles hergerichtet und sich dann zum „Besteck wickeln“ zusammengesetzt. Nach dem Mittagsgeschäft in der Nachmittagsflaute das gleich wieder. Jeder von Euch, der schon mit mehr als 10 Leuten zusammengearbeitet hat, weiß: es arbeiten immer die Gleichen! Weil wenn´s um Besteckwickeln geht, dann hat einer den flotten Otto, der andere muss unbedingt zum Bisln, der nächste ans Telefon und der vierte sperrt sich ohne Grund am Klo ein. Der fünfte ist beim Weißbier und irgendwer muss sich dringend noch Nägel lackieren (ich gendert nie – auch hier nicht. Aber es ist völlig egal, welcher Mensch eine Ausrede hat, ob männlich, weiblich oder divers, beim Wickeln sitzen immer die Gleichen NICHT) Jedenfalls war es immer ein Zirkus, nie genug Besteck da und, und, und. Jetzt ist es sehr elegant: das schmutzige Besteck wird in Tonnen gesammelt und abgeholt, sauber, poliert und gewickelt in Kartons wieder angeliefert. Viel weniger Arbeit für alle. Auch für Spüler. Mindestens 2 Arbeitskräfte weniger für den Wirt. Aber der mag es nicht zahlen, weil Besteck ist seit je her Bedienungssache. Fair? Nein. Völlig an den Haaren herbeigezogen. Aber es ist halt so. Gewerkschaft gründen? Keine Option! Ich habe Kollegen, die verdienen ihren Lebensunterhalt damit. Das Besteckgeld tut weh, aber keine Arbeit tut noch mehr weh…

Räuber

Ich erkläre meine Besteck-Situation seit Ewigkeiten meinen Gästen. Der ganz große Teil hat Verständnis. Die meisten verstehen, dass für ein extra Besteck einfach ein 50erl verlange. Muss ja auch gereinigt werden. Würde das Besteck einfach „ehrlich“ im Preis einkalkuliert werden, könnte man ein 20gerl verlangen für ein extra Besteck und alle wären Happy. Es würde über Bücher laufen, jeder könnte es nachvollziehen. Und vielleicht würde man dann auch die Räuber in den Griff bekommen – die Besteck-Räuber. Nicht etwa unsere Gäste! Nein. Ich rede hier von all jenen, die sich während des Festes ein Personalessen holen dürfen. Feuerwehr, Polizei, Musiker, Security und noch einige Andere. Die bedienen sich nämlich gerne an dem gewickelten Besteck. Was wir zahlen. Wofür wir aber von denen kein Geld bekommen. Die müssen nicht mit den Fingern essen – aber bitte einfach mit losem Besteck, das ist nämlich viel, viel günstiger.

Ja, Mei!

Um das den Gästen zu erklären, brauchst du Zeit. Die hast bloß wenn nix los ist. Dann nehme ich mir die Zeit gerne. Und nicht selten höre ich dann: „Aha, ja i ließ und hör immer bloß von Bedienungen, die sagen i hob 50.000€ auf der Wiesn verdient!“ – Ja genau. Liebe Kolleginnen und Kollegen, herzlichen Glückwunsch. Schön, dass ihr so einen Reibach macht! Liebe Leser: ich kann Euch beruhigen. Der Durschnitt verdient das einfach nicht. Wir verdienen ohne Frage gutes Geld. Jeder und jede von uns, wenn man sich nicht komplett blöd anstellt. Wir knechten auch richtig dafür. Wir sind einen Tag vor Euch schon im Zelt und wenn ihr alle glückselig daheim im Bett liegt, machen wir noch sauber. Wir lieben unseren Job und wir betreiben Raubbau an unseren Körpern. Dafür werden wir gut entlohnt. Nicht fürstlich. Vermutlich liegt der Stundenlohn einer Wiesnbedienung im Schnitt irgendwo bei 40-45€.  Aber halt auch nur für 16 Tage im Jahr! Und ein großer Teil von uns, verwendet dafür seine Urlaubstage. Jene Tage im Jahr, die zur Regeneration und zur Erholung gedacht sind. In dieser Zeit, wo der durchschnittliche Bundesbürger am Teutonengrill sein Wams in die Sonne hält. Da gehen wir schuften. Und das machen wir gern! Besteckgeld zahlen wir halt nicht so gern…

Das Ende: es muss halt auch mal jemand drüber reden – Milchmädchenrechnung – bist du dir da sicher?

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