noch 40 und Rest von Heute
Volkfest-Tagebuch Dachau 2024 – der Countdown zur Wiesn.
Heute: Die Suche nach Gründen
Der zweite Volksfesttag ist angebrochen und es hat um 9:30 Uhr, als wir das Zelt betreten, schon 25 Grad. Draußen! Nicht in front of Hendlgrill. Es wird heiß. Es ist August. Es ist Sommer. Bis wir „abgestuhlt“ haben und die Tische geputzt haben, stehen wir alle schon im eigenen Saft. Aber das gehört irgendwie dazu in Dachau.
Nicht auszuhalten
Bis das Zelt um 11 Uhr öffnet steht der Planet fast senkrecht am Himmel und brennt wolkenlos mit voller Kraft auf unsere, in dicke Plastikplane eingepackte, Zeltstadt. Die Luft bewegt sich einfach keinen Millimeter. Im See, im Fluss oder im Pool ist heute der einzige Platz, wo du es aushalten kannst! Im Bierzelt einfach nicht. Genaugenommen auch nicht im Biergarten. Weil es einfach so heiß ist.
Ein paar wenige verirren sich trotzdem. Sitzen fächernd vor ihrer alkoholfreien Maß und schwitzen beim Essen. Aber mein Papa hat schon immer gesagt: „Des sind die fleißigsten Menschen, die beim Essen schwitzten und bei der Arbeit frieren!“ Die Blasmusik spielt einen Marsch nach dem anderen und die paar wenigen Leute im Bierzelt essen schnell ein Hendl und gehen dann wieder. Weil du dich bei der Lautstärke auch nicht unterhalten kannst. Und weil es einfach zu warm ist. Im Dirndl und in der Lederhosn.
Übersteuert
Blasmusik per se ist laut. Wenn sie dann noch elektronisch verstärkt wird, ist es richtig laut. In einem vollen Bierzelt nicht so dramatisch. Die vielen Menschen und der Lautstärkegrundpegel können das ab. In einem leeren Bierzelt ist es einfach zu laut. Wer nachmittags gemütlich ins Bierzelt geht, zum Ratschen und Essen, der möchte sich halt auch unterhalten können und nicht anschreien müssen. Was nachmittags schon zu laut war, grenzte heute Abend dann fast an Körperverletzung. Die Partyband hat die Boxen voll aufgedreht. Das Zelt war zu einem Drittel gefüllt. Die Set-Liste hat um 18:13 „Malle ist nur einmal im Jahr“ angezeigt – das ist der Todesstoß für diesen Bierzeltabend. Die letzten Gäste aus meinem Service sagen leise Servus und entschuldigen sich, dass sie nicht bleiben können, aber es ist ihnen zu laut. Natürlich habe ich das dem Wirt gesagt, natürlich hat der auch sofort reagiert. Natürlich wurde die Musik leiser gemacht – die Setliste konnten wir auf die Schnelle nicht ändern. Ballermann Party im Bierzelt. Liebe ich ja – Nicht!
Überteuert
Auf der Suche nach Gründen, warum das Zelt so leer ist, kommen dir viele Faktoren in den Weg: Hitze, Ferien, Biersorte, Musik, Arbeitszeiten, Inflation und Preise. Alle haben ihre Daseinsberechtigung. Und von allem kommt ein bisschen was. Die einen gehen nicht aufs Volksfest, weil es zu heiß ist, die anderen, weil sie im Urlaub sind, die nächsten wegen der Musik, dem Bier, den Preisen, dem Wirt oder dem allgemeinen „das muss man sich erstmal leisten können“. Und genau da möchte ich heute ansetzen: So ein Volksfest besuch musst du dir erstmal leisten können. Die (a)sozialen Netzwerke sind voll von Kommentaren und Schimpftieraden über die Preise. Nachvollziehbar? Jein! Essen und Trinken gehen in der Gastronomie ist teuer geworden. Das steht außer Frage. Muss es so teuer sein, oder macht irgendwer einen Riesen-Reibach auf Kosten des großen ganzen?
Kalkuliert
Lasst uns gedanklich mal eine Betriebswirtschaftliche Rechnung aufmachen, ganz ohne Zahlen. Nur fürs Gefühl.
Das Bierzelt wird aufgestellt. Auf einer Fläche auf der sonst nichts ist.
Es braucht eine Küche. Voll ausgestattet, um in kürzester Zeit 33 verschiedene Gerichte aus dem Handgelenk zu schütteln.
Es braucht Kühlzellen. Im großen Stil. Die so viel Leistung haben, dass sie in praller Sonne stehend, auf Minusgrade runterkühlen können. Für Bier und Getränke und für die Küche.
Es braucht eine Waschstraße, für das Geschirr und die Gläser.
Und es braucht Personal, welches all diese Bereiche mit Leben füllt. Denn ohne Personal kommt das Essen und das Bier nicht aus den Kühlzellen.
Es braucht Köche, Spüler, Schankkellner und Ganterbuam, Personal an der Schänke, im Büro, Mädchen für alles, Zeichenzähler, Bedienungen und jemand der nachts, wenn alle schlafen, das Zelt sauber macht. Es braucht Toilettenpersonal und es braucht helfende Hände.
Es braucht Gas, Strom, Licht.
Es braucht Security, Feuerwehr und BRK.
Es braucht Musik und Bands.
Und jetzt verrate ich Euch ein Geheimnis – all diese Menschen machen diesen Knochenjob, weil sie Geld verdienen wollen und müssen. All diese Menschen braucht es, damit das System Bierzelt funktioniert. Und dann müssen die auch noch im Akkord arbeiten, wenn das Zelt voll ist. Müssen belastbar sein, dürfen nie müde sein und müssen alles aushalten. Bei der Hitze am Grill, bei der Kälte in der Kühlzelle.
Und dann gibt es noch so viel mehr was bezahlt werden will – und auch wenn das jetzt verrückt klingt: auch der Wirt macht diese Arbeit, weil er damit Geld verdienen möchte und muss.
Lottogewinn
Kein Wirt, nicht in Dachau, nicht auf der Wiesn und nirgends sonst auf der Welt „scheißt Geld“. Heißt also, dass Geld, welches im Bierzelt an all die fleißigen Hände verteilt wird, muss erstmal erwirtschaftet werden. Der Großteil der Angestellten bekommt einen Stundenlohn. Also auch dann Geld, wenn nicht los ist. Bedienungen nicht. Die bekommen nichts, wenn sie nichts verkaufen. Genau genommen sind die Bedienungen eigentlich für den Lohn der anderen verantwortlich. Das ist noch nicht in allen Köpfen angekommen. Aber faktisch ist es so.
Ja, Mei!
Was machen wir jetzt mit dem Wissen? Meiner Meinung nach gibt’s sicher mehrere Lösungsansätze. Erstens, braucht es wirklich 33 Gerichte auf einer Bierzelt Speisekarte? Eine dementsprechend große Küche und viele Köche? Fragt 10 Leute, ihr werdet 11 Meinungen dazu bekommen. Vergesst aber beim Beantworten dieser Frage nicht, dass es (EU)Auflagen gibt, die besagen der Wirt MUSS vegan, vegetarisch und sonst noch so ein paar Kleinigkeiten zur Verfügung stellen. Zweitens: ist Bierzelt-Zeit eigentlich ein gemütlicher Teil des Tages, aber alles muss schnell und sofort gehen. Keiner hat Zeit zum Warten. Das bedeutet, es braucht auch mehr Hände – weil Einer kann nicht schneller als schnell. Drittens: ist des alles so noch zeitgemäß? Kann man sich so eine (ohne Frage wunderschöne) Extrawurst in unserem Land noch leisten? Und wenn ihr diese Frage nicht auf Anhieb mit Ja beantworten könnt, dann wisst ihr, wo es tatsächlich hakt. Und diesen Haken trägt weder der Wirt noch die Bedienung…
Das Ende: Arbeiten um Geld zu verdienen – ois is deirer gworn – des muaßt da erstmoi leisten kenna!
Ein Beitrag zum Nachdenken. Gut und verständlich geschrieben.