noch 32 Tage – und der Rest von Heute!
Volksfest-Tagebuch Dachau 2019 – der Countdown zur Wiesn.
Heute: Montag, Endspurt. Der letzte Tag – oder wie man eine Stadt auf eine Detox-Kur vorbereitet
Finale. Letzter Tag. Endspurt. Reste-Fressen. Norgal-Saufen. Oder einfach nur: die letzten Stunden Dachauer Volksfest genießen.
10 Tage lange hat Dachau gefeiert, geratscht, gesoffen und vor allem gefressen. Noch ein paar Stunden und dann ist wieder Ruhe – für ein Jahr. Und ganz Dachau wird einer Detox-Kur unterzogen werden müssen. Glaube ich.
Der letzte Tag
Der letzte Tag eines Volksfests hat mindestens genau so viel Situationscharme wie der Erste. Es ist dieses ganz besondere Flair, das in der Luft liegt. Eine Abschiedsstimmung. Ein bisschen Wehmut. Ein bisschen Durchatmen. Ein lachendes und ein tränendes Auge. Zum letzten mal nei in´d Lederhos´n. Zum letzten Mal ein Prosit. Zum letzten Mal die vielen bunten Lichter bei Nacht. Zum letzten mal der Defiliermarsch. Und trotz diesen vielen „letzten“ freut sich jeder ein bisschen auf morgen. Auf Ausschlafen, auf Jeans, auf Kaffee aus Tassen und auf einen gemütlichen Fernsehabend auf der Couch.
Aber noch ist es nicht so weit. Noch liegt ein letzter Tag vor uns. Also auf geht´s, Zähne zambeissen und raus auf die Festwiese. Nei ins Bierzelt. Die Hendlmarken wollen verbraucht werden. Die Bedienungen wollen nochmal so richtig in Schwung kommen. Ihr glaub gar nicht wie recht ich mit all diesen Dingen haben werden. Heute am letzten Tag. Da kommen sie ALLE! Was zuerst nur eine vage Vermutung war – wird in kürzester Zeit zur bitter-süßen Wahrheit. Sie strömen in Scharen. Wie sollte es anders sein: die 5% Marke erfüllt sich in jedem der möglichen Klischees umgehend. (Für die, die nicht wissen was ich meine: ich habe 95% tolle, großartige und überragende Gäste. 5% bestätigen allerdings die Regel – oder haben sie oder wie auch immer)
Kleingeldfetischisten
Könnt ihr Euch dran erinnern, wie das früher war, als man vor dem Italien-Urlaub noch DM in Lire wechseln musste? Da hat man am letzten Urlaubstag dann die restlichen Lire noch schnell ausgegeben. Beim Eis, beim Kaffee, für die schicke Handtasche oder das 20te Handtuch. Hauptsache man muss nix von dem „fremden Geld“ wieder mit Heim nehmen. Schließlich weiß kein Mensch, ob man jemals wieder nach Italien fährt – geschweige denn, ob die Lire im folge Jahr noch irgendeinen Wert hat. Genau so verhält es sich im Urlaubsland „Bierzelt“ auch. Zu Beginn des Urlaubs wechselt man Euros in Bier- und Hendlmarken und bis zum Ende der Urlaubszeit muss alles ausgegeben sein. Denn die Marken sind nächstes Jahr tatsächlich nix mehr wert. Dazu kommt jetzt aber noch die Besonderheit, dass man zu den Papiermarken ein bisschen Bargeld braucht. Ihr wisst schon. Bedienungsgeld. 53 Cent, 71 Cent… Während zum Beginn des Festes, sämtliches Bedienungsgeld noch vorwiegend in Scheinen bezahlt wird, nimmt die Flut an Kleingeld zum Ende hin erheblich zu. Am letzten Tag leeren die Bierzelturlauber dann bei der letzten Maß auch des letzte Hosensackerl restlos aus. Was da alles zum Vorschein kommt: 10erl, 20erl, Indianer, Fahrchips vom Riesenradl, Pfandmarken von der Cocktailbar, Papierschnippsel mit Handynummern. Bis auf letzteres bekommt die Bedienung alles in den Geldbeutel – als Trinkgeld. „Da schau her, des gehert da ois! Ah wart, da is a no was!“ Es wäre gelogen und unfair, wenn ich sagen würde ich würde mich nicht drüber freuen. Schließlich ist auch das ganze viele Kleingeld in Summe ein schöner Batzen. Wenn hoit die Zählerei nicht wäre. Schließlich müssen wir heute Abend alles abrechnen. Und beim Fünferl zählen soll´s scho den ein oder anderen vom Stangerl g´haun ham. Und a bissi kommt man sich als Bedienung auch vor wie die schwarze Restemülltonne. Nix für Ungut! Ich ehre jeden Pfenning. Ich heb auch 1 Cent vom Boden auf. Nicht weil ich es nötig habe. Was die Sache mit dem Papierschnippsel angeht: in der heutigen Zeit, wo jeder ein Handy dabeihat, klingt es fast albern, dass man Nummern noch auf Pappierschnippsel schreibt und sich gegenseitig zusteckt. Irgendwie finde ich es aber erstens süß, zweitens romantisch und drittens ziemlich mutig. Daher – liabe Buam und Madl – hebt´s die Schnippsel guad auf. Zumindest als Erinnerung. Euer gegenüber hat sich da was getraut. Und es sollen schon die schönsten Beziehungen aus Papierschnippsel entstanden sein… „Ui, schau, ja vareck, i hob denk i sich de ni wieder – aber da schau her, da is ihr Nummer. Au weh zwick. De ruaf i o. Morg´n, wenn i nüchtern bin!“
6 Euro 80
Ich weiß. Ich habe die letzten Tage viel über Geld geschrieben. Übers bezahlen und übers Trinkgeld. Aber es reißt einfach nicht ab. Jeden Tag aufs Neue kommt wieder einer daher, der den gestrigen Tag noch toppen kann. Heute: „Machst 6,80 Euro“ Ernsthaft? Ernsthaft! Zur Erinnerung: des Bier in Dachau kostet dieses Jahr 6,30 Euro. Normalerweise bezahlen unsere Gäste 7 Euro für die Maß Bier. Gute 10% Trinkgeld wie es sich gehört. Ganz normal. Viele haben auch mehr bezahlt. Weil wir Bierfuizel am Tischen liegen hatten, weil wir den Boden vom Maßkurg nochmal abgewischt haben, bevor wir ihn hingestellt haben. Weil sie gut zufrieden waren mit unserem Service. Manchmal am Nachmittag, wenn alte Leute da waren, dann haben die sich eine Maß und ein Hendl geteilt und für die Maß „nur“ 6,50 Euro gezahlt. Stört mich überhaupt nicht. Zugegeben ich springe nicht in die Luft vor Freude, aber ich weiß auch, dass der Deutsche Durchschnittsrentner eben keine großen Sprünge machen kann. Wer einmal bei einer Veranstaltung war, deren Erlöse an Einrichtungen wie „Ein Herz für Rentner“ geht, der jammert an dieser Stelle nicht. Der nimmt es so wie es kommt. Genaugenommen ist des nämlich so: wenn eine „Vollzeit-Bierzelt-Bedienung“ die im Nebenberuf vielleicht noch Mama ist, sich nicht selbstständig darum kümmert, dass sie nach ihrer „Kariere“ was auf der hohen Kante hat, dann sitzt die auch irgendwann im Bierzelt und kann KEIN Trinkgeld geben. Weil nichts da ist. Weil sie zwar früher unzählige Stunden damit verbracht hat, die Senioren mit Dampfwürscht abzufüttern, aber die Rentenversicherung ihr später mal was hustet. Klingt traurig, ist aber so. Wenn eine Familie mit vier Kindern ins Bierzelt kommt und die verzogenen Schrazen schon die ersten Bierfuizl in Fetzen gelegt haben, bevor der Papa überhaupt was bestellt hat und dieser sich dann auf ein 5erl rausgeben lässt, dann steigt mir auch die Hutschnur! Mit einem Bugaboo Kinderwagen, die Mutti mit D&G Handtasche und die Kinder in Hugo Boss gekleidet versteht es sich von selbst, dass kein Trinkgeld für die Bedienung übrigbleibt. „Hättest halt was g´scheits gelernt!“ Sagt der stolze Vati dann zu mir. Ich muss die Luft anhalten, damit mir nicht rausrutsch: „Vögeln und Kinder gebären so wie deine Schnecke – oder willst du mir erzählen die Gute hat in den letzten 8 Jahren war gearbeitet?“ Aber lassen wir das. Die Kinder verteilen sich grade die Schweinebratensoße gegenseitig auf den Designer-Klamotten – hat Mutti wenigstens was zu tun die nächsten Tage. Und die nächste Influencer-Instagram-Story über den „besten Fleckenentferner der Welt“ hat endlich einen Sinn.
nochmal: 6 Euro 80
Eigentlich wollt ich Euch aber von 6,80 Euro erzählen. Die Hütte ist. Voll, alle die gestern nicht gekommen sind und uns haben warten lassen sitzen heute da. Alle. Gleichzeitig. Wir rennen. Hendl, Haxe, Maß und Brezen. Mittagstisch. Apfelschorle. Ein Scheiß-Stress ist des. Dann ein Tisch mit zwei Männern im Anzug. Schnell in der Mittagspause aufs Volksfest. Die zwei sind auf den ersten Blick vom Typ Unternehmensberater. So reden sie auch. In diesem geschwollenen Hochdeutsch und am Ende eines jeden Wortes wippt ihr glatt-gegeltes Haar ein bisschen nach. Der erste bestellt eine Radler. Der zweite: eine Alkoholfreie-Saure-Radler-Halbe. Freu ich mich schon bei der Bestellung drüber. Kann ich euch gar nicht sagen. Mag ich ja besonders gern solche Vögel. „Oiso, Hoibe haben wir gar nicht. Aber wenn du wirklich willst, dann bring ich dir des ganze als Maß“ Will er wirklich, aber nicht, ohne sich vorher darüber aufzuregen, dass es im Bierzelt keine Halbe gibt. Auf dem Weg zur Schänke baue ich mir schon ein innerliche Mauer, weil ich weiß, dass ich gleich dermaßen derbleckt werde. Kein Schankkellner mag Bleifreies Bier. Keiner. Bleifreie Radler ist die Steigerung „Mog er vielleicht a no a Nucklflascherl, oder soin mir eham des Bier no bissi anwärmen!“ Wenn du als Bedienung aber mit Bleifrei und Sauer und um die Ecke kommst, dann kanns je nach Laune des Schankis passieren, dass einfach ein Maßkrug fliegt. Im besten Fall aber kriegst ausreichend blöde Sprüche – von den Kollegen, weil du die Schlange aufhälst und vom Schanki und von den Glaslwaschern! Ich habe die Tortour also über mich ergehen lassen und bin mit meiner gelben Babymilch zurück am Tisch bei meinen Gästen. Der mit der Radler gibt mir 10 Euro sagt 7 und ich geb ihm 3 retour. Dann kommt des Milchbubi dran und sagt gönnerhaft großzügig: „Machst 6,80 Euro, weilst so schnell warst“ „Ois klar, i muaß bloß schnell schaun, wo i des 20erl her bring. Hab ich nicht am Man“ Ich höre wie er schimpft und jammert – aber natürlich bring ich im dem 20erl. Der arme Kerl. Mei, so ein Armani-Anzug kommt nicht von ungefähr.
#bestezeit
Endlich ist des Mittagsgeschäft rum. Und da rennen sie auch schon auf mich zu. Meine Quietischies. Und sie quietschen. Ein großes Hallo und gebussel und umarmen und liebhaben. Meine zwei Prinzessinnen sind zwar mega stolz auf die Mama, weil die Bierzeltbedienung ist, aber die lange Zeit geht ihnen halt auch sehr nah. Jetzt haben wir zwei Stunden Zeit zusammen. Zuckerwatte, Spezi, Schiffschaukel, Rund um den Tegernsee und eine Runde Riesenrad. Die allerschönste Zeit auf dem Volksfest. „Mama, wir helfen dir noch ein bisschen bedienen bevor wir heim gehen!“ Dann wischen sie die Tische ab, holen an der Schänke ganz selbstverständlich eine Maß und wissen ganz genau, wo auf der Kasse die Schweinebratentaste ist. Ist des schee. Die Paula hat für zwei Stunden ausgecheckt und genießt die Zeit mit dem wertvollsten was ihr der Herrgott geschenkt hat. Zwei Stunden können so unsagbar schnell vergehen. Meine Babys müssen wieder gehen. Ich mag sie gar nicht loslassen und ich merke, wie ich eine Träne im Auge habe. Ein paar Jahre noch, dann bin ich wahrscheinlich froh, wenn sie lieber heim gehen – aber heute fällt es mir besonders schwer. Weil die Zeit mit Euch zwei die beste meines Lebens ist. Weil ihr meine Kinder seid. Für immer.
Und nochmal von vorne
Ihr könnt gar nicht glauben wie viele Menschen um kurz vor 18 Uhr immer noch stapelweise Marken haben. Das ist nicht zu fassen. Und was die für einen Stress haben. Ich habe den Tisch noch nicht ganz sauber gemacht, da stehen schon die nächsten sechs da, bestellen Essen und Trinken noch bevor sie sitzen. Wir kommen an diesem letzten Abend gar nicht zum Luft holen. Dachau frisst und säuft uns die letzte Kraft aus dem Körper. Schweinebraten hier. Radler da. Käsespätzle. Rollbraten. Ente. Obazda. Gulasch. Hendl. Herrschaftszeiten! Hört des nochmal auf? Gestern war keiner da. Heute alle. Und wieder von vorne.
Wenn ich eins mit Bestimmtheit sagen kann: Dachau braucht in den nächsten Wochen dringend Ernährungsberater, Diät-Coaches und Detox-Spezialisten. So viel kann eine Stadt alleine in 11 Tagen gar nicht essen. Des ist Wahnsinn! Oh neue Gäste „Moment, ich hab Euch nicht verstanden, was darf ich bringen?“ „3 hoibe Hendl, Schweinebraten, Brotzeitbrett und zweimal die Haxe!“ „Aber ihr seid doch nur zu 4? Kommen die anderen noch?“ „Na, aber heut ist ja der letzte Abend. Wir müssen vorsorgen!“ Ois klar! Verstehe! Ab morgen ist Dachau auf Diät. Ganz sicher. Da gibt’s nichts mehr zu Essen. Nirgends.
Feierabend.
Durch ausreichend Wacholder und Anis bestens geschützt vor etwaigen Krankheiten sind „die Jungen“ aus unserem Team Top-Fit und stürmen in alter Tradition die Bühne. Das letzte Lied gehört wie immer und überall den Bedienungen. So auch in Dachau. „Whats up singt halt niemand so mega geil wie sie!“ Und das stimmt. Und ich bin mächtig stolz. Auf beide. Jetzt ist es aus. Der letzte Ton ist verklungen. Die letzte Maß ist abgeräumt. Die Abrechnung ist gemacht. DANKE Dachau. Du warst umwerfend. Es war mir ein Volksfest. Es hat Spaß gemacht. Wegen den tollen Gästen und den durchgeknallten. Wegen den 5% und den 3 Cent. Wegen der Fresserei und Feierei. Einfach weil Dachau ein so sehr schönes Volksfest ist. Gemütlich. Traditionell. Griabig. Einfach schee.
Und jetzt war´s total schee, wenn noch irgendwo ein Feierabend Augustiner hergehen würde. Vielleicht so im Rahmen einer Küchenparty. Wie damals. Als wir noch jung waren. Und nicht heim gehen wollten. Da hat sich immer irgendwer dabarmt und seine Küche geöffnet. Eier gebraten. Augustiner und Wein aus dem Keller geholt. Und eine große Kanne Kaffee gekocht. A Anderer hat seine Gitarre rausgezogen und man hat zusammen gesungen. Gelacht. Geratscht und das Volksfest ausklingen lassen. Mit dem harten Kern. Der immer dabei war. Der immer dabei ist. Irgendwo in einem Garten, wo der Flieder blüht und der Lavendel duftet. Mei, des war jetzt schee. Ein letzter Blick über den Mühlbach in dem sich das Volksfest noch spiegelt. Die Lichter gehen der Reihe nach aus. Es wird dunkel. Die Tore sind geschlossen.
Aus is und gar is und schee is, dass wahr is.
Notiz: DANKE – A Brotzeit ohne Augustiner, da konnst wieda zambackln – nicht ohne meine Töchter