Paulas Tagebuch
Noch 11 und der Rest von heute
Wir müssen uns mal unterhalten. Über ein wirklich ernsthaftes Thema. Eines dieser Themen, welches schon seit Jahren für Zündstoff sorgt. Ein Thema bei dem die Gemüter immer schon kochen und das nie wirklich für alle zufriedenstellend ist: der Bierpreis. Aber auch hier müssen wir von vorne anfangen. Schließlich gab es schon zu Zeiten König Ludwig I. ärger um den Bierpreis.
Bierrevolution
Wir schreiben das Jahr 1844. Der Winter war hart, kalt und schneereich. Die Ernte aus dem vorherigen Herbst war mager. Die Rohstoffknappheit verlangte von König Ludwig I. zu allererst eine Brotpreiserhöhung. Die Münchner waren zwar wenig begeistern, haben es aber durchaus hingenommen. Als der König jedoch am 1. März den Erlass zur Bierpreiserhöhung unterschrieb war es vorbei mit der Münchner Gemütlichkeit und mit dem Verständnis der Bürger. 1 Pfenning mehr für den Liter Bier – das haben die Münchner nicht auf sich sitzen lassen. Schon am Abend des 1. März 1844 kam es zu Krawallen in der Münchner Innenstadt. Etwa 2.000 Bürger stürmten die Münchner Brauereien, warfen Fenster ein und zerstörten was ihnen in den Weg kam. Das Militär sollte helfen und für Ruhe und Ordnung sorgen. Taten die Soldaten aber nicht. Die verweigerten einfach den Dienst. So kam es, dass schließlich der König einlenkte: am 5. März nahm er die Bierpreiserhöhung zurück.
„um dem Militär und der arbeitenden Klasse einen gesunden und wohlfeilen Trunk zu bieten.“
Grundnahrungsmittel
Als am 23.April 1516 das bayerische Reinheitsgebot in Kraft tritt, wird Bier zum Grundnahrungsmittel erklärt. Übrigens auch für Kinder. Schließlich darf dem Gerstensaft nun weder Tollkirsche noch sonstige berauschende Mittel beigefügt werden. Weder für den Geschmack noch für die Haltbarkeit. Damit ist es aus Sicht der Obrigkeit – gesund. Noch eine weitere wichtige Eigenschaft besitzt das Bier: um es zu brauen, muss das verwendete Wasser abgekocht werden. Damit war Bier teilweise das einzig „reine“ Getränk. Insbesondere in Ballungsräumen, in denen Wasser häufig mit Keimen und Bakterien versetzt war. Somit hatte Bier eine enorme Bedeutung für die Volkshygiene und eben auch für die Gesundheit. Schließlich musste der tägliche Flüssigkeitsbedarf auch damals schon gedeckt werden. So erklärt es sich auch, dass Bier, vor allem in Bayern, zum Grundnahrungsmittel erklärt wurde. Weil es eben mengenmäßig den Hauptteil der Ernährung der Bevölkerung ausgemacht hat. Weil es weiterhin für die „Gesunderhaltung der Bevölkerung“ stand. Das bedeutet eben auch, dass ein Jeder sein Recht auf Bier hat. Damit muss es für jeden Bauern, Arbeiter und Gesellen eben auch bezahlbar bleiben.
Biergeschäft
Wo man a Geldverdienen kann, ist der Staat nicht weit entfernt. Das war früher so, das ist heute so. Auch unsere Könige wussten schon, wo man die Staatskassen füllen kann. So wurde eben auch der Bierpreis vom König vorgegeben. Waren die Kassen grade mal wieder leer, weil ein neues Schloss gebaut wurde, musste der Bierpreis erhöht werden. Selbstredend auch alle anderen Preise: Brotpreis, Mieten, Getreidepreis und so weiter und so weiter. Wenn gleich niemand begeistert war, wenn es Preiserhöhungen gab, so war es bei der Bierpreispreiserhöhung am schlimmsten. Im Mai war Randale in München. Da wurden die Bierpreise bekannt gegeben und schon gingen die Menschen auf die Straße. Da wurde randaliert und protestiert und der König eine Wildsau geheißen. Und diese Tradition haben wir Münchner uns bis heute beibehalten. Zwar sind die Wildsäue heute keine Könige mehr, aber wenn im Mai die Bierpreise für die Wiesn veröffentlich werden, dann ist des Geschrei jedes Jahr aufs neue wieder groß!
„Mei, die spinna ja, scho wieder 10 Cent mehr für die Maß! Die kriegen ihren Kragen gar ned voll die Wirte. Die miaßn ja im Geld schwimma!“
Bierrealität
Ich habe gesagt wir müssen uns unterhalten. Das meine ich auch so. Ich würde gerne bei all dem Grant über den Münchner Bierpreis gerne mal meinen Blick schweifen lassen: in unsere Nachbarmetropolen. An die schönsten Strände dieser Welt. In die Bars und Kneipen am See. Da wo man schön sitzt, sich die Sonne auf den Bauch scheinen lassen kann und schicke Schiffchen im Wasser treiben sieht. Da wo es keine Live-Musik gibt, wo nicht extra ein Lokal aufgebaut wird, wo es für Männlein und Weiblein nur eine Toilette gibt. Also irgendwo in Italien, Spanien, Frankreich. Oder auch Schweden, Norwegen und Island. Da zahlt man für ein kleines Bier gerne auch mal 4,50€. Ein kleines Bier sind dann 0,3l also für den Liter Bier sage und schreibe 15€. Der letzte Bierpreis auf der Wiesn 2019 lag unter 12€ – über was genau reden wir hier?
Aussicht und Ambiente
Klar, am Hafen der kleinen italienischen Stadt oder am französischen Strand hast du natürlich ein sensationelles Ambiente. In London und Madrid sitzt du mit Blick auf die schönsten Sehenswürdigkeiten. Auf der Alm in Tirol bist du dem Himmel und dem Herrgott so nah wie sonst selten. Das möchte alles bezahlt werden. Zumal ein Großteil dieser Orte kein eigenes Bier hat und Importieren muss. Anders wie in München. Da sitzen die Brauereien in der Stadt, brauen mit Münchner Wasser und holen den Hopfen aus der Hallertau. Deswegen schmeckt aber des Münchner Bier auch ganz besonders gut. Allerdings eben auch nur in München. Glaubt ihr mir nicht? Dann setzt Euch mal auf Mallorca an den Strand, atmet die salzige Meeresluft ein und versucht ein Augustiner zu trinken – des schmeckt nicht halb so gut! Ambiente hin und Aussicht her.
Biergwand und Bavaria
Mit dem leichten Biergwand am Fuße der Bavaria, um dich rum viele Menschen die du kennst, aus den Lautsprechern heimische Musik und vor dir eine Maß Bier – das ist eigentlich unbezahlbar. Und doch viel günstiger als im Bikini am Strand, mit den Füßen im Sand und am Bier in der Hand. Ohne Frage, alles hat seine Vorzüge. Und in Italien muss niemand Bier trinken – da schmeckt der Wein hervorragend. Wenn man aber in München sitzt und die Wiesn mit all ihren schönen Seiten genießen will, dann kostet es eben Geld. Schließlich sind die Zelte extra aufgebaut worden. Die Kühlhäuser, Sanitäranlagen und ein vollausgestattetes Krankenhaus hin gekarrt worden. Küchen und Schänken aus dem Nichts entstanden. Stromkabel in Kilometern länge verlegt worden. Es gibt unzählige Menschen die dort arbeiten und dafür Sorge tragen, dass es erstens sicher, zweiten sauber und drittens schön ist. Die nachts putzen und tagsüber sauber machen. Die versiffte Toiletten putzen! Und zwar ständig! Die Gläser waschen und einräumen und hin und her räumen. Leute die schleppen und schuften und tragen und schieben und ziehen. Viele lange Stunden jeden Tag. Mit ganz wenig Schlaf zwischendurch. Im strömenden Regen, bei Hagel, bei sengender September-Hitze und bei eiskaltem Wind. Und alle diese Menschen wollen, sollen und müssen ein Geld verdienen.
Bierpreis
Faszinierend finde ich tatsächlich, dass der Bierpreis die größten Diskussionen auslöst. Zumindest öffentlich. Dass ein Schnitzel über 30€ kostet wird mehr oder weniger stillschweigend hingenommen. Dass Limo, Wasser, Wein und Spezi auch nicht umsonst sind wird vernachlässigt, aber über unseren Bierpreis regen sie sich auf – die Preiß´n! Ja, tatsächlich schreien die am lautesten. Also schriftlich. Weil, die längsten und heftigsten Diskussionen finden mittlerweile tatsächlich online statt. Auf Facebook und Twitter. Da zerreißen sie den Bierpreis und überhaupt die ganze Wiesn. Und wenn keine ist, so wie dieses Jahr, dann kommen irgendwelche dahergelaufene Redakteure an und veröffentlichen in Münchner Tageszeitungen Artikel über die „Vorteile, dass es keine Wiesn gibt!“ Freuen sich, dass sie nicht so viel Geld ausgeben müssen für ein Bier und posten zwei Tage später ein Bild aus dem Straßencafé in Mailand – wo der Cappuccino an der Piazza schlappe 8,20€ kostet. „…man muss das Leben auch mal genießen!“
Da bleibt der Paula nichts anderes übrig als ein herzliches „sehr gerne!“ – in der Hoffnung, dass diese Leute bitte die nächsten 50 Jahre der Wiesn auch fernbleiben und ihren Urlaub während dieser Zeit irgendwo außerhalb von München verbringen. Würde uns allen weiterhelfen! Euch, weil ihr Euch des viele Geld fürs Bier spart, uns weil wir mindestens einen Platz mehr im Zelt haben und mir, weil ich mir eine Diskussion über die Höhe des Bierpreises spare!