Dachauer Seniorennachmittag

noch 39 Tage – und der Rest von Heute!

Volksfest-Tagebuch Dachau 2019 – der Countdown zur Wiesn.

Heute: Montag, die Senioren sind zu Gast im Bierzelt – Geschichten die das Leben schreibt

In Dachau gibt es, wie auf vielen anderen Volksfesten auch, jedes Jahr einen Seniorennachmittag. Da lädt die Stadt Dachau ihre Rentner ein. Auf eine Maß Bier und zwei paar Dampfwürscht. Eine schöne Tradition wie ich finde. Für die meisten Dachauer Senioren ist das ein fester Termin im Kalender. So natürlich auch dieses Jahr. Und weil der Petrus dieses Jahr nicht mitgespielt hat, hat sich der ganze Seniorennachmittag im Zelt abgespielt. Da war nix mit Biergarten. Allerdings wars auch nicht so brüllend heiß. Nix schlechts wo nes a wos guads dabei ist.

Alle helfen mit – weil es anders gar nicht geht

Beim Seniorennachmittag in Dachau helfen alle zam. Für „unsere“ Oiden, wie man so schön sagt. Das Bayerische Rote Kreuz baut eine Dampfwurststation im Zelt auf. Zwei große Kessel, in denen die Wiener warm gemacht werden. Eine Abholstation für die, die ihre Würstl mit heimnehmen wollen. Viele Hände packen da mit an. Jungs von der Feuerwehr helfen beim Auf- und Abbau. Mädels vom BRK helfen bei der Essensausgabe.

Der Wirt „hilft“ mit Tellern, Senf und Servierten. Hört sich jetzt vielleicht albern an, ist es aber nicht. Denn die Teller müssen auch gewaschen werden. Die Servierten und der Senf müssen auch gekauft werden. Da gibt’s gar keine Frage, dass der Festwirt das zur Verfügung stellt.

Die Bedienungen helfen auch mit. Klar. Wir bekommen ein Bedienungsgeld. Pro Gutschein für Maß und Würstl sind das 38 Cent. Brutto. Kleinvieh macht auch Mist. Aber sind wir mal ehrlich – das entspricht nicht mal einer Aufwandsentschädigung, die man für ehrenamtliche Tätigkeiten bekommt. Es beschwert sich aber auch nicht wirklich eine Bedienung. Das gehört einfach dazu. Ich für meinen Teil mache das sogar irgendwie gerne. I mog de Oiden. Und ich bin überzeugt davon, dass mir jeder Seniorennachmittag bei der Verhandlung meiner Jahre im Fegefeuer angerechnet wird…

Die schönsten Geschichten – von herzzereißend bis voglwuid

Jedes Jahr aufs Neue gibt’s wieder herrliche Geschichten vom Seniorennachmittag. Lustige und nachdenkliche und dann die eine besondere Geschichte. Die kommt zum Schluss.

Die lustigen Geschichten

„Servus die Herrschaften, was darfs sein? Einmal des Komplett-Menü?“ 10 entsetzte Gesichter schauen mich an. Vorne links findet der Erste endlich Worte: „I krieg des hier. Alles. Gleich.“ Alle anderen rufen jetzt wild durcheinander und wedeln mit ihren Gutscheinen. Ich kann Worte wie Hendl, Radler, Bier und gleich vernehmen. Die Blasmusik setzt zu einem Tusch an und ich merke, dass die Nummer so nicht läuft. Gut. Alles nochmal auf Anfang. „Oiso Jungs und Mädels, wir machen des so: ich frage euch jetzt der Reihe nach was ihr trinken wollt und dann bring ich euch des. Wenn alle Getränke da sind, dann hole ich eure Würscht. Bassd des?“ drei nicken, einer sagt gar nix zwei rufen irgendwelche Worte wie Hendl und Gutschein. Ich muss grinsen. Dreh mich zu dem ersten Gast links von mir und frag was er trinken will. Bier. Der nächste auch und der übernächste auch. Mein Hirn hat drei Striche gemacht. Dann der vierte, der möchte eine Radler. Jetzt geht’s wieder los: „geht a Radler auch“ fragt der erste wieder ich nicke, während hinten rechts eine Frau fragt, ob sich auch alkoholfreies Bier bekommen könnte. Ok. Ich brauche einen Plan: „Wenn ich nochmal um Eure…“ Tusch aus den Lautsprechern – ich halte kurz inne, warte bis die Becken verstummt sind und fange wieder an „wenn ich kurz nochmal eure Aufmerksamkeit haben darf: ihr könnt alle Getränke für Euren Biergutschein bekommen“ ein Grinsen zeichnet sich auf den Gesichtern meiner Gäste ab. Alle bestellen jetzt brav nach einander ihre Getränke. Ich bring alles zum Tisch und sammle dann die Gutscheine für die Würscht ein. Dann geht´s wieder los. Die eine ruft Hendl, die andere Schweinswürstl die nächste ruft nach Hause. Ja will die denn schon gehen? Die hat doch grad ihr Bier bekommen. „Meine Herrschaften. Für die Gutscheine können Sie nur die Würscht bekommen. Ois andere müssen Sie selbst zoin. Der Gutschein kann auch nicht angerechnet werden. Und ja, sie kenna de Würscht auch mit Heim nehmen“ Alle nicken zufrieden. Am Ende hole ich dann 6 mal Würscht zum gleich essen, 2 mal ToGo, Hendl und Schweinswürst. Endlich sind alle zufrieden.

Am nächsten Tisch winken die Gäste auch schon hektisch mit ihren Gutscheinen bevor sie überhaupt sitzen, ich geh hin und bevor ich fragen kann was es sein darf schreit mir die Dame schon hektisch entgegen: „Bringst uns alles gleich direkt. Damit mir fertig wern.“ Ich schau a bissi verdutzt? Sag: „Ja, immer mit der Ruhe. Mir san da ja im Bierzelt und nicht auf der Flucht.“ Sie grinst mich an und sagt: „Na, auf der Flucht samma ned, aber i woit de Würscht no essen bevor i den Leffe obgib!“ Wir lachen beide. Ja wenn des so is, dann renn i hoit los.

Als Tisch eins aufgegessen hat, will ich die Teller abräumen, da hält mich der Gast vorne links am Arm und erklärt mir: „Woaßt, mir san alle „Neu-Rentner“ mir ham dieses Jahr des erste mal den Gutschein gekriegt. Mir san alle miteinander in´d Grundschui ganga. Aber mir wissen hoit gar ned, wia des geht. Des mit die Würscht.“ Tusch… selten hat ein Tusch so gut gepasst wie an dieser Stelle. Schee oder? Seit 60 Jahren sind die miteinander befreundet. Des find i großartig. „Trinkts no a Bier?“ Ja rufen alle. „Auf unsere Freundschaft“ sagt die Frau, die des Hendl gegessen hat.

Nachdenkliche Geschichten

Ein Tisch mit 6 leeren Maßkrügen und einem Mann der seinen Krug noch festhält. Ich geh hin und frag ob ich die leeren Krüge mitnehmen kann. „Freilich, Freilien, die kemma nimma. I bin aloa da. Wissens, i hob de gar ned kennt, aber an dem Tisch war no a Platzal frei. I muaß immer alloa her geh. Mei Familie is ausgwandert. Nach Mallorca. Da sitzen jetzt in da Sonna und wenn i Glück hab, dann kriag i zu Weihnachten a Flachal Olivenöl mit der Post.“ Mir zerreißt´s grad as Herz. Ich schau mich kurz um. Es ist nicht mehr viel los. Meine Kolleginnen sind alle da. Ich setz mich kurz zu dem Mann. Und dann erzählt er mir. Vom Krieg. Von Dachau. Von seiner verstorbenen Frau und von seiner Tochter die vor 7 Jahren abgehauen ist. Mit Kind und Kegel. Nach Mallorca. In eine Finka. Seitdem war sie nur zwei Mal zu besuch in Dachau. Seine jüngste Enkelin hat er noch nie gesehen. Er sagt, er hat bestimmt viele Fehler gemacht als Papa, aber als Opa würde er so gerne alles besser machen. Aber des geht jetzt eben nicht mehr. Ich sitz da und hör ihm zu und hab des Gefühl, es tut ihm irgendwie gut, des alles zu erzählen. Seine Maß hat er mittlerweile ausgetrunken. Noch eine will er nicht. Weil er dann einen Rausch hat. Und immer wenn er einen Rausch hat, dann geht’s ihm am nächsten Tag nicht gut. Des mag er nicht. Kann ich verstehen. Aber er würd gerne noch ein bissi sitzen bleiben und die Leute anschauen. Ob des ein Problem ist für mich, fragt er mich. Natürlich nicht.

Und dann erzählt er mir noch, dass er früher auch immer mit seinen Freunden am Seniorennachmittg war. Aber die sind jetzt alle schon gestorben. Er ist der einzige aus der Schulklasse, der noch lebt.

Bevor er dann heimgeht, kommt er extra nochmal bei mir vorbei und sagt danke. Fürs zuhören. „Wer nimmt sich heute noch Zeit für einen alten Mann? De Junga hom doch alle gar koa Zeit mehr.“ sagt er. Ich. Von Herzen gerne. Nächstes Jahr kommt er wieder. Wenn er noch lebt.

Besondere Geschichten

Kein Tag an dem nicht irgendwo auf der Welt a Depp aufsteht. Im Fall vom Seniorennachmittag ist der Depp eine Frau. Und wie sollte es anderes sein – die sitzt natürlich in meinem Service. Eh klar. Aber von Anfang:

Es kommen zwei Damen ins Zelt. Die eine in einem Mini-kurzen Dirndlgwand, welches auf den ersten Blick aus einer H&M Kollektion stammen könnte. Großkarierter rosa-weißer Stoff, eine Schürze mit Häkelborte und eine schwarze Bluse. Die andere in einem knall-gelben, enganliegenden Kostüm. Mit Feder in den Haaren.  Die zwei Weiber bestellen ihr Menü mit Bier. Bis ich des Bier gebracht habe, hat der Kanarienvogel schon eine kleine Almdudler Plastikflasche aus der Handtasche auf den Tisch gestellt. Drin ist allerdings kein Almdudler – sondern durchsichtige Flüssigkeit. Da die Flasche maximal 150ml fasst, behaupte ich jetzt einfach mal, das kein Leitungswasser drin ist. Egal. Die Lady machen sich über Bier und Würschtl her und zerreißen sich Lauthals das Maul über sämtliche Gäste in ihrem Blickfeld. Kurze zwischen Frage: kennt ihr das Gefühl von trockner Kaisersemmel im Mund? Wenn die beim Essen immer mehr wird? Und dann müsst ihr unbedingt was sagen… Na ihr wisst schon: der Staub von der Semmel verlässt vor dem ersten Vokal den Mund.

Die zwei pudern sich also gegenseitig ein. Was solls. So lang sie Spaß haben. Mittlerweile haben sie die jeweils dritte Maß bestellt und ich sehe, wie der Kanarienvogel die Almdudlerflasche austauscht. Gegen eine neue volle. Genaugenommen darf man das nicht. Getränke mit ins Bierzelt bringen. Auch keinen Schnaps. Ich gestehe – ich ignoriere das. Es wird jetzt 16:30 Uhr und der Tisch an dem die Beiden sitzen ist um 17 Uhr reserviert. Ich gehe also zu unseren Klatsch und Traschttanten und weiße sie freundlich darauf hin, dass sie in der nächsten viertel Stunde den Tisch verlassen müssen. Dann geht’s los: „du blöde Kuh, du vertreibst mich nicht. Ich sitz hier, weil ich will“ Ähm, ok. Lassen wir das mal so stehen. Nicht aufregen. Des macht Falten. Eine Viertelstunde später kommt eine mehr oder weniger politische Persönlichkeit aus dem Dachauer Landkreis und fragt mich, wo denn sein reservierter Tisch zu finden sei. In dem Moment springt der Kanarienvogle auf und schreit irgendwelche undefinierbaren Worte. Dann verliert sie das Gleichgewicht und fällt über den Tisch. Ich will hinlangen und ihr aufhelfen, da schreit dieses Unikat mich an, ich soll meine Fett-Bratzen von ihrem Designer Kostüm nehmen und schauen, dass ich Land gewinne. Ok, ok. Ich geh ja schon. Dreh mich zu dem neuen Gast und will ihm erklären, welches seine reservierten Tische sind, als sie mir von hinten auf die Schulter tippt. Ich dreh mich um und sehe… wie sie Luft holt und mich anspuckt! Ernsthaft. Anspuckt. Drei Männer vom Nachbartisch stehen auf und begleiten den Kanarienvogel samt H&M Schaufensterpuppe nach draußen. Unter großem Geschrei und vielen Beleidigungen in alle Richtungen. Himmel noch mal – immer de Erotik von de Weiber (Karl Valentin)

Ja, mei.

Der Seniorennachmittag endet in einem gemütlichen Bierzeltabend. Ich habe mich mehrfach gewaschen und der Ekel von der Rotz-Attacke lässt langsam nach. Nichts desto trotz. Ich freu mich auf eine lange Dusche und auf das Ende eines Montags der alles hatte.

 

Notiz: Danke sagen tut nicht weh – auch im Bierzelt kann man Gutes tun – meine Jahre im Fegefeuer haben sich wieder um x reduziert

Folgen:

2 Kommentare

  1. Sabine
    14. August 2019 / 13:24

    Unfassbar diese Weiber. Was du alles aushalten musst ! Aber das Gute überwiegt- das ist wichtig.

  2. Andrea
    14. August 2019 / 13:30

    Sich Zeit für das Alter nehmen…. irgendwann sind auch wir alt und hoffen das sich dann einer Zeit für unser alter nimmt….

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